Ratgeber: Abgasskandal: Ansprüche für Diesel-Halter

Abgasskandal: Ansprüche für Diesel-Halter

Thorsten Köhn
Rechtsanwalt

In Kürze

  • BGH spricht Geschädigten Ausgleich bei Fahrlässigkeit zu.
  • Nahezu alle Autobauer sind in den Abgasskandal verwickelt.
  • Betroffene können Ansprüche gegenüber dem Hersteller oder Verkäufer geltend machen.
  • Neueste Rechtssprechung lässt Verbraucherinnen und Verbraucher hoffen.
  • Unzulässige Abschalteinrichtung stellt Mangel an Fahrzeug dar.

So gehen Sie vor

  • Prüfen Sie, ob Ihr Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen ist.
  • Holen Sie sich eine anwaltliche Einschätzung zu Ihren Möglichkeiten und Chancen ein.
  • Machen Sie Ihr Recht geltend und fordern Sie Ihre Ansprüche ein.
  • Sichern Sie sich für den Fall einer Stilllegung rechtlich ab.

Der Dieselskandal dreht sich längst nicht mehr nur um VW – und ebenso wenig um die vom Konzern verwendete Schummel-Software. Im Zentrum des Interesses steht mehr denn je das sogenannte Thermofenster und die endgültige Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) zur Haftung der Autobauer. Die fällt nun verbraucherfreundlich aus: ein Mangelausgleich bis zu 15 % vom Kaufpreis

1. BGH: Schadensersatzansprüche bei Fahrlässigkeit

Das Blatt wendet sich im Abgasskandal: Der Bundesgerichtshof (BGH) spricht in seinem Urteil vom 26. Juni 2023 geprellten Verbraucherinnen und Verbrauchern zwischen 5 und 15 % vom Kaufpreis als Schadensersatz bei Fahrlässigkeit durch den Hersteller zu. Höhere Ansprüche sind möglich, sofern dem Autobauer auch vorsätzlich sittenwidrige Schädigung zur Last gelegt werden kann.

Damit schließt sich der BGH dem vorausgegangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in weiten Teilen an – eine Trendwende, zeigte sich das oberste deutsche Gericht bislang doch eher verbraucherunfreundlich.

Wichtig: Fahrlässigkeit entscheidende Änderung

Bislang mussten Geschädigte nachweisen, dass Autobauer bei der Verwendung illegaler Abschalteinrichtungen – allen voran dem Thermofenster – vorsätzlich sittenwidrig gehandelt haben. Damit ist nun Schluss. Fahrlässigkeit ist fortan ausreichend, um Schadensersatzansprüche geltend machen zu können.

Einziger Wermutstropfen: Wann Fahrlässigkeit gegeben ist, bleibt vorerst ungeklärt, denn darüber hatte der BGH nicht zu entscheiden. Es ist davon auszugehen, dass sich die Karlsruher Richterinnen und Richter in Zukunft der Fahrlässigkeitshaftung widmen. Dazu bedarf es einer Überprüfung vorausgegangener Urteile der hiesigen Gerichte hinsichtlich der Frage, ob die richtigen Maßstäbe gesetzt wurden. Anpassungen sind nicht auszuschließen.

2. Klageweg für Dieselhalter aller Hersteller eröffnet

Das BGH-Urteil dürfte nunmehr auch Autobauer ins Visier rücken, die bislang eher als Randakteure im Abgasskandal agierten bzw. gänzlich unbeachtet blieben. Denn: Thermofenster – um die es in diesem Kontext vorwiegend geht – finden sich in nahezu allen Dieselfahrzeugen, die zwischen 2008 und 2020 mit der Abgasnorm Euro 5 und Euro 6 vom Band gelaufen sind. BMW, Peugeot, Renault und Co. müssen jetzt also ebenfalls mit Klagen rechnen.

Nutzungsentschädigung: Nachteil für Vielfahrer

Auch haben die BGH-Richterinnen und Richter entschieden, dass unter Umständen eine Nutzungsentschädigung für die zurückgelegten Kilometer von der Ausgleichszahlung abzuziehen ist. Für Vielfahrer bedeutet das: Ab einer Laufleistung von 300.000 km dürfte die Nutzungsentschädigung die Schadensersatzleistung „auffressen“.

Dennoch raten wir, einen Fachanwalt für Verkehrsrecht hinzuzuziehen. Immerhin können Schadensersatzansprüche bei vorsätzlich sittenwidriger Schädigung höher ausfallen als die maximalen 15 % vom Kaufpreis. Zudem bleibt eine Gefahr in jedem Fall bestehen: die der Stilllegung Ihres Dieselfahrzeuges.

Es ist nicht auszuschließen, dass das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) die Betriebserlaubnis für bestimmte Dieselmodelle zum Schutz von Mensch und Umwelt entzieht. In einem derartigen Fall hilft Ihnen eine Ausgleichszahlung sicherlich wenig. Wir sichern Sie dagegen ab.

3. Dieselskandal: Volle Konzentration auf Thermofenster

Seit geraumer Zeit schon sorgt das sogenannte Thermofenster für reichlich Zündstoff im Abgasskandal. Ruhten sich die Autobauer lange auf ihrem Argument aus, die Abschalteinrichtung diene dem Motorschutz, wird es zunehmend enger.

Hinweis: Thermofenster

Thermofenster regulieren die Abgasreinigung in Fahrzeugen bei bestimmten Außentemperaturen. Während der EuGH das Argument der Motorschutzfunktion bereits in einem Urteil vom Tisch gefegt hat und nun Betroffenen auch Schadensersatzansprüche zuspricht, steht eine endgültige Entscheidung vonseiten des BGH noch aus. Das Urteil wird am 26. Juni erwartet – Prognosen sind verbraucherfreundlich.

Kritisiert werden vor allem die Temperaturfenster, in denen die Abgasrückführung (AGR) aktiv ist – oder eben nicht. Die Folge: Eine aktive Reduzierung von Stickoxiden findet nicht statt. Immerhin wurde festgestellt, dass sich die AGR durch das Thermofenster oft schon bei 10 °C Außentemperatur und weniger deaktiviert. Temperaturen also, die hierzulande oft über das Jahr vorherrschen.

4. Betroffene Modelle: Diese Autobauer mischen mit

Dass nicht nur VW bei der Abgastechnik ordentlich getrickst hat, ist längst bekannt. Kaum ein Autobauer kann eine weiße Weste vorzeigen. Fahrzeughalterinnen und Fahrzeughalter tun also in jedem Fall gut daran, zu prüfen, ob Manipulationen an ihrem Fahrzeug bzw. am im Fahrzeug verbauten Motor möglich sind.

Grundsätzlich lässt sich sagen: Manipulationen an Fahrzeugen der Abgasnormen Euro 5 und Euro 6 sind der Regelfall.

Abgasskandal bei Wohnmobilen

Auch bei Camping-Freunden hat die Vorfreude auf die nächsten Urlaube mit dem Wohnmobil einen ordentlichen Dämpfer bekommen. Seit einiger Zeit ist bekannt, dass vor allem Wohnwagen mit Erstzulassung zwischen 2014 und 2019 alles andere als sauber unterwegs sind.

Als Hauptlieferant der Basisfahrzeuge für Wohnmobile haben sich insbesondere Fiat und Iveco Manipulationen an der Abgastechnik zuschulden kommen lassen. Besitzen Sie ein Wohnmobil, empfehlen wir Ihnen, zu prüfen, ob es vom Abgasskandal betroffen ist. Wir übernehmen das für Sie, verschaffen Ihnen Klarheit und sind auch im weiteren Vorgehen an Ihrer Seite.

5. Ansprüche im Abgasskandal: So steht es um die Verjährung

Ansprüche gegenüber dem Händler aufgrund von Mängeln am Fahrzeug verjähren in der Regel nach zwei Jahren. Bei Gebrauchtwagen ist bereits eine frühere Verjährung denkbar – je nach vertraglicher Gewährleistung.

Daraus ergibt sich, dass ein Vorgehen gegen den Händler in vielen Fällen gar nicht mehr möglich ist. Nicht so aber gegen die Autobauer: Diese haben mit dem Einbau der Thermofenster zumindest fahrlässig gehandelt.

Wichtig: EuGH auf Verbraucherseite

Am 21. März hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass bereits Fahrlässigkeit aufseiten der Autobauer ausreicht, um Verbraucherinnen und Verbrauchern Schadensersatzansprüche zuzusprechen. Mehr erfahren Sie in unserem News-Beitrag: Fahrlässigkeit begründet Schadensersatzansprüche.

Doch auch bei einem Vorgehen gegen den Hersteller ist eine Verjährungsfrist zu berücksichtigen – und die beträgt drei Jahre, nachdem vom Anspruch Kenntnis erlangt wurde. Das ist aber mitnichten auf 2015 – den Beginn des Abgasskandals – zurückzudatieren. Seitdem gibt es in der Rechtssprechung kaum Stillstand. Immer wieder kommen neue Erkenntnisse ans Licht, die Einfluss auf die aktuelle Rechtssprechung nehmen.

Und so wird auch aktuell ein Urteil sehnlichst erwartet: das Anschlussurteil vom Bundesgerichtshof zum Urteil des EuGH vom 21. März.

Hinweis: Urteilsverkündung am 26. Juni

Zwar war die Verhandlung auf den 8. Mai datiert, die Entscheidungsfindung hat der BGH aber vertagt. Die Richterinnen und Richter wollen ihr Urteil am 26. Juni 2023 verkünden. Dabei ist eine verbraucherfreundliche Tendenz erkennbar. Mindestens ein kleiner Schadensersatz liegt im Bereich des Möglichen.

Haben Sie von privat ein Fahrzeug gekauft, das über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt, haben Sie von vornherein nur die Möglichkeit, gegen den Fahrzeughersteller vorzugehen. Bei Privatkäufen wird eine Gewährleistung in der Regel ausgeschlossen.

6. Hersteller im Abgasskandal verklagen: Ihre Möglichkeiten und Ansprüche

Ist Ihr Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen, lassen Sie Ihre Schadensersatzansprüche prüfen. Eine Fachanwältin bzw. ein Fachanwalt für Verkehrsrecht liefert Ihnen eine Einschätzung zu Ihren Chancen und zur Höhe zu erwartender Schadensersatzansprüche.

Um eine erste Idee von Ihren möglichen Ansprüchen zu erhalten, nutzen Sie gerne unseren Geld-zurück-Rechner. Mit nur wenigen Angaben zu Ihren Fahrzeug erfahren Sie, wie es um den Restwert Ihres Fahrzeugs steht.

Anhand dieser Einschätzung wird eine Strategie festgelegt, die Ihre Chancen zusätzlich steigert. Nicht zuletzt spielt in dem Kontext die jeweilige unzulässige Abschalteinrichtung, die in Ihrem Auto verbaut ist, eine Rolle. Ebenso dienen vorausgegangene Urteile als wertvolle Orientierungspunkte.

Wurde in Ihrem Fahrzeug ein Thermofenster verbaut, ist vor allem der Klagezeitpunkt ein wichtiger Aspekt. So raten wir aktuell dazu, das BGH-Urteil abzuwarten. Da der BGH hat durchblicken lassen, seine bisherige vornehmlich Hersteller-freundliche Rechtssprechung aufzugeben und Schadensersatzansprüche zu bejahen – geprellte Fahrzeughalterinnen und -halter können mindestens auf einen kleinen Schadensersatz hoffen – vereinfacht sich ein Vorgehen gegen den jeweiligen Hersteller. Immerhin mussten die geschädigten Autokäufer und -käuferinnen bislang nachweisen, dass sie vorsätzlich sittenwidrig geschädigt wurden.

Hinweis: kleiner Schadensersatz

Der sogenannte kleine Schadensersatz stellt einen Differenzausgleich zwischen dem Kaufpreis des Wagens und dem tatsächlich niedrigeren Wert bei Anschaffung dar. Die Mängel werden also berechnet und dem Käufer bzw. der Käuferin erstattet.

Dabei ist der kleine Schadensersatz nicht die einzige Möglichkeit, Ansprüche geltend zu machen. Unter Umständen kann auch die Rückgabe des Wagens gegen Erstattung des vollen Kaufpreises infrage kommen – der sogenannte große Schadensersatz. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass in der Regel eine Nutzungsentschädigung für die mit dem Wagen zurückgelegten Kilometer zu zahlen ist.

Welche Schadensersatzansprüche sich für Sie ergeben, ist individuell zu bestimmen. Viele Faktoren spielen bei der Bewertung eine Rolle. Deshalb raten wir auch grundsätzlich zu anwaltlicher Unterstützung.

7. Widerrufsjoker: Autokredit widerrufen

Möchten Sie von einer Klage absehen, besteht neben der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen die Nutzung des sogenannten Widerrufsjokers. Das setzt allerdings voraus, dass Sie Ihr Fahrzeug mit einem Autokredit finanziert, aber noch nicht abbezahlt haben.

Seit einem Urteil Ende März 2020 steht fest: Nahezu alle Kreditverträge, die seit dem 11. Juni 2010 geschlossen wurden, sind widerrufbar. Denn die Verträge enthalten alle einen sogenannten Kaskadenverweis.

Hinweis: Kaskadenverweis

Ein Kaskadenverweis meint, dass die Verträge Verweise enthalten, die auf einen Paragrafen im BGB verweisen, der auf einen anderen Paragrafen verweist, der wiederum auf einen Paragrafen verweist usw.

Der EuGH hat entschieden, dass das dem Grundsatz von Klarheit und Prägnanz widerspricht, der seit dem 11.06.2010 in einer EU-Richtlinie festgeschrieben ist. Finanzdienstleister können von Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht verlangen, dass sie eine derart komplizierte Verweisstruktur durchschauen.

Folglich sind die Widerrufsbelehrungen in den Verträgen der Finanzdienstleister fehlerhaft und somit unwirksam – daraus ergibt sich ein Widerrufsrecht.

Was ist der Widerrufsjoker?

Eines gilt es aber zu berücksichtigen: Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird eine Nutzungsentschädigung fällig. Das bedeutet, dass Sie für jeden gefahrenen Kilometer eine Entschädigung zahlen müssen. Die errechnet sich folgendermaßen:

Kaufpreis (brutto) x gefahrene Kilometer ÷ erwartete Laufleistung des Wagens

Klausel in vielen Mercedes-Verträgen unzulässig

Die Mercedes-Bank wollte sich womöglich vor etwaigen Schadensersatzansprüchen auf eine besonders dreiste Art und Weise schützen: In ihren Autokreditverträgen hat die Mercedes-Benz Group eine Klausel eingebaut, durch die die Kundinnen und Kunden einen Großteil ihrer möglichen Ansprüche „gleich aus welchem Rechtsgrund“ an die Bank abtreten.

Den Zahn hat der BGH der Mercedes-Benz Group jüngst gezogen und die Zusatzvereinbarung für nichtig erklärt. Ans Licht kam die Masche nur, weil ein vom Abgasskandal betroffener Mercedes-Kunde seine Schadensersatzansprüche geltend machen wollte, die Mercedes-Bank ihm dieses Recht aufgrund der Klausel aber absprach.

In einem News-Beitrag haben wir den Fall für Sie zusammengefasst: Dieselskandal: Klausel in Mercedes-Verträgen unwirksam.